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Reiseheft: Folgen 1 & 2

Mai 2021

FOLGE 1 / Die, die zum Abenteuer aufbrachen…

Notizen vor der Abreise 

Noémie und ich sind gerade nach Bordeaux gezogen. Ein Lebensprojekt, für das sich jetzt die perfekte Gelegenheit ergab. Ursprünglich wollten wir unseren Urlaub bei einer Tour durch Nordamerika verbringen. Wegen der aktuellen Gesundheitskrise und den Reisebeschränkungen mussten wir unsere Pläne aber ändern und entschieden, unsere neue Heimat zu erkunden. Für uns, zwei Kinder aus der Picardie, die an den Anblick weiter Weizenfelder gewöhnt sind, sind die Weinberge bestimmt genauso exotisch wie die großen Seen in Kanada! Und wir wollten das Weinbaugebiet von seiner Südseite he UND mit dem Fahrrad erobern. Das Entre-deux-Mers, das Graves und das Sauternes sind etwas weniger bekannt, vielleicht authentischer – genau richtig für uns!

Flèche Saint Michel Bordeaux Crédit Anna Burg

 Tag 1 

Der Rucksack ist gepackt: Fotoapparat, Telefon, Reiseheft, Stift, Radlerhose, Trinkflasche, Karte und Kompass. Wir sind gerüstet. Noémie neckt mich: „Nimm doch gleich den ganzen Hausstand mit!”. Ja, ich gebe zu, ich plane gerne alles durch und dieses Weinbaugebiet kenne ich halt nicht! Wir fahren los, wir überqueren früh morgens die Steinbrücke: Die Geschichte beginnt. Das Licht ist noch schüchtern, alles ist ruhig. Ich drehe mich um und sehe das aus der Puste-Lächeln von Noémie und hinter ihr die Stadtfassaden aus dem 18. Jahrhundert. Der Kirchturm Saint-Michel, der Palais de la Bourse (indem sich früher die Börse befand), der Platz Quinconces… Das rechte Flussufer ist definitiv der beste Ort, um Bordeaux zu betrachten.  Wir fahren an der Garonne entlang Richtung Süden, vorbei an zauberhaften schmiedeeisernen Zäunen und Toren, hinter denen große Parks mit schönen Villen liegen: „Das sind die früheren Häuser der Händler, sie stammen aus dem 18. Jahrhundert!‟, ruft uns ein Passant zu, der uns unsere Neugier angesehen haben muss. 

Allmählich kommen wir ins Entre-deux-Mers, diese Gegend, die auch das „Hinterland von Bordeaux‟ genannt wird. Wir pedalen durch Wälder, an Flüssen und Weinbergen vorbei… Unser heutiges Abenteuer führt uns nach Créon mit seinen Gassen und seinem quadratischen und von Steinbögen umgebenen Dorfplatz. Noémie knurrt der Magen. Also halte ich nach einer kleinen, lokalen Gaststätte Ausschau. Im Restaurant La Table bietet man uns ein marktfrisches Menü auf einer paradiesischen und ruhigen Terrasse an: Herrlich!!  Unser Nachmittagsprogramm entspricht ganz unserer sportlichen Motivation (sprich, Noémie muss bald der Knöchel amputiert werden) und der Hitze an diesem Maitag. Wir flüchten also ins kühle Innere der Abtei La Sauve-Majeure und widmen uns ein wenig der Geschichte. „Oder dem, was davon übrig ist‟, berichtigt mich Noémie, als wir durch die Ruinen dieser ehemaligen Benediktinerabtei schreiten, die 1079 vom Herzog von Aquitanien errichtet wurde. Oben vom Turm aus haben wir ein einmaliges Panorama auf die Region und ihren Ozean aus Weinbergen… Wir verbringen den ganzen Nachmittag hier. Ich mache es mir im Gras im Schatten des ehemaligen Kirchenschiffs gemütlich, während Noémie die Abtei und ihre Kapitelle zeichnet… und ein Porträt von mir, faul auf der Wiese 🙂Es ist so angenehm und ruhig hier, dass die Zeit wie im Flug vergeht. Zum Abend hin gegen wir untergehakt und mit einem gewissen Gefühl der Glückseligkeit in die Unterkunft.

Tag 2  

Der Ausflug geht weiter in Sauveterre-de-Guyenne. Wir spazieren über den historischen Parcours durch die Stadt und erfahren, dass sie 1281 von den Engländern gegründet wurde, und zwar von keinem geringeren als Edward I.! Nun ja, vielleicht nicht von ihm höchstpersönlich, aber Sie wissen schon. Sicher ist aber, dass hier in 1152 die Königin Eleonore von Aquitanien denjenigen heiratete, der später der König von England werden sollte:Heinrich II.Plantagenet, was Aquitanien an die britische Krone anschloss.

Nachmittags besichtigen wir (endlich!) ein Weingut. DasChâteau Malbat. Noémie, die guten Wein genauso wie die Architektur liebt, löchert den Eigentümer Daniel mit Fragen. „Sie verwalten das Weingut schon in der 5. Generation!‟, ruft sie verblüfft und bewundernd zugleich, als wir die Geschichte der Familie hören. Auch die Kinder des Hauses sind da und besichtigen das Gut mit uns zusammen. Das Ganze endet bei Sonnenuntergang bei einem gemütlichen Plausch, mit einem Glas Wein in der Hand und den Kindern, die fröhlich um uns herumtoben. Wir schnappen uns wieder unsere Fahrräder und radeln zum Maison des Quatre Saisons, ein ehemaliger Bauernhof, der heute ein Gästehaus ist. Stein, Eleganz, hoher Standard und viel Platz: Bei Delphine fehlt es an nichts, um eine Nacht im Paradies zu verbringen. „Sie müssen unbedingt La Réole besichtigen! Das ist eine wunderschöne Stadt, und wenn Sie Kulturerbe lieben, werden Sie begeistert sein. Außerdem ist morgen Markttag!‟ erklärt Sie uns bei einer Flasche Wein, bevor wir schließlich müde aber glücklich ins Bett fallen. 

Tag 3

Delphine hatte Recht, La Réole ist wirklich unglaublich. Die in 977 am Ufer der Garonne entstandene Altstadt hat einen umwerfenden Charme! Der Radweg führt uns bis zum Markt und den Kais. Ich liebe diesen Moment, als Noémie vor Glück fast platzt: Seit wir ein paar Tage im Perigord verbracht haben, hat sie dieses Bild von Épinal und den typischen Märkten mit ihrem Ambiente des Südwestens im Kopf. „Wunderschön, ich liebe es‟ sagt sie mir mit einem breiten Lächeln, das mich dahinschmelzen lässt. Wir streifen durch die Gassen der Stadt, vorbei an hübschen Fachwerkhäusern und halten vor dem Rathaus (dem ältesten in Frankreich, ein Geschenk von Richard Löwenherz himself* !). 

Am Nachmittag nehmen wir unsere Route an der Garonne entlang wieder auf. Von der Kammlinie aus, die die Weinberge am rechten Flussufer bilden, haben wir eine zauberhafte Sicht auf Graves & Sauternes, die mit der untergehenden Sonne in ein fantastisches Licht getaucht sind. Noémie hält den Anblick in ein paar Zeichnungen fest. Wir stehen hier vor einem Land der Geschichte, der Moment ist definitiv erinnerungswürdig. Ich weiß nicht, ob sie mich dieses Mal auch malt, aber ich sehe ihr an, dass sie mit ganzem Herzen dabei ist.

FOLGE 2 / Die, die aus dem Staunen nicht mehr herauskamen)

4 Tage lang radeln wir durch Cadillac, Cérons, Barsac und erkunden viele Weingüter und legendäre Stätten.

Tag 4 

Heute beginnt unsere Tour der Weingüter. In dieser großen Geschichte fühlen wir uns ganz klein!  Wir beginnen mit dem Château Malromé, ein sehr schönes Schloss aus dem 16. Jahrhundert, das auch dafür bekannt ist, dass es das Familienanwesen des Malers Toulouse-Lautrec war. Unser Fremdenführer führt uns durch die Zimmer von damals mit geschnitzten Holzvertäfelungen: „Wow! Echte Zeichnungen von Henri!‟, ruft Noémie bewundernd! Ich gebe zu, das ist schon beeindruckend. Überall hängen die Werke des Künstlers, sogar über der Badewanne! Wir flanieren durch die Räume, in denen der Maler lebte, und betrachten jedes seiner Werke bis ins letzte Detail. Und da das Schloss auch ein Weingut und ein Familiensitz ist, folgen wir Charles, der sich um die Weinkeller kümmert und richtig sympathisch rüberkommt, zu einer Besichtigung, die mit der Verkostung der ausgezeichneten Weine des Hauses endet. Unser Spaziergang geht weiter an der Garonne entlang: Wir kommen schließlich nach Saint-Croix-du-Mont und Loupiac, in die Welt der Likörweine. Ach ja, die Likörweine… Ehrlich gesagt, ich weiß überhaupt gar nichts über Likörweine. Ich weiß nur, dass sie oft in den Hintergrund treten, die Ärmsten. Und ja, lieber Einwohner aus der Gironde, Sie müssen auch zugeben, dass Sie den Rot- und Weißweinen Ihre ganze Aufmerksamkeit schenken, obwohl das nicht die Besonderheit Ihrer Region ist!

©Anna Burg

Wirerklimmen den Gipfel des „Bergs‟ Sainte-Croix, denn Noémie hat mir eine Überraschung versprochen. Ja, sie hat nämlich im Routard gelesen, dass es hier ein ganz außergewöhnliches Phänomen geben soll. Was würde ich nicht alles für sie tun… Die Anstrengung wird aber tatsächlich belohnt. Hätte sie mir vorher gesagt, dass wir eine Höhle mit fossilen Austern besuchen würden, hätte ich sie wohl ausgelacht – dann aber hätte schließlich auch meine Neugier gesiegt. Das ist doch wirklich ein verrücktes Phänomen, oder nicht? Nach der ersten Verwunderung erfahre ich, dass diese Fossilien aus der Zeit stammen, als dieser Teil des Kontinents noch vom Atlantik bedeckt war. Ich drehe mich um und sehe, wie Noémie mit offenem Mund und völlig vertieft zeichnet – der Anblick ist so selten (und berührend!), dass ich sie liebevoll necken muss. Allerdings habe ich auch schon großen Hunger, ich lasse sie in Ruhe zu Ende malen, dränge vielleicht ein kleines bisschen, um dann endlich zwölf leckere Austern bestellen zu können (aus der heutigen Zeit versteht sich!), zu denen wir natürlich ein Glas Wein aus Sainte-Croix-du-Mont trinken. Wir nutzen diesen sonnenverwöhnten Nachmittag, um das Château Dauphiné-Rondillon in der Appellation Loupiac zu besichtigen. Als wir dort ankommen, sehen wir Kinder durch den Weinberg flitzen, als würden sie einen Schatz suchen. Sandrine, die Eigentümerin, erklärt uns, dass sie seit einiger Zeit eine Schnitzeljagd für Kinder mitten durch den Weinberg anbietet. „Es kommen immer mehr Familien zu uns, Touristen aber auch Einwohner aus dem Bordelais. Sie wünschen sich Besichtigungen, an denen auch die Kinder ihre Freude haben, und so haben wir diese Aktivität umgesetzt‟. Im Laufe des Besuchs erklärt und das Eigentümerpaar die Herstellungsgeheimnisse eines guten Likörweins. „Die Trauben müssen länger reifen, sie sind dann trockener und haben einen höheren Zuckergehalt, deshalb findet bei uns die Lese auch später statt.‟

Tag 5 

Besichtigung von Cadillac. Wir suchen vergeblich nach einer Verbindung mit dem gleichnamigen Auto. Im Touristeninformationsbüro empfiehlt uns Antoine die beste Strecke für unsere weitere Tour und die sehenswerten Weingüter am linken Flussufer. „Nehmen Sie sich vorher noch Zeit, um unsere Stadt und das Herzogsschloss zu besichtigen. Außerdem ist heute Markttag‟. „Ist der genauso schön wie der in La Réole? ‟, fragt Noémie. „Das ist schwer zu vergleichen, aber hier können Sie Chefköchen begegnen‟. Ah, da weiß jemand, wie man uns überzeugen kann! Antoine erklärt uns, dass das Weinhaus von Cadillac jeden Monat einen Kochkurs mit einem Küchenchef in einem der Weingüter der Region. „Zusammen mit dem Chef werden die Zutaten auf dem Markt einkauft, bevor es zum Kochen auf das Weingut geht. Heute findet sogar ein Kurs statt, soll ich Sie dafür anmelden?‟ Aber liebend gerne!

Wir treffen die Gruppe direkt auf dem Markt und wählen zusammen mit dem Chef die lokalen Produkte aus. Dann geht es für den Kochkurs zum Weingut. Die Stimmung ist gesellig und wir diskutieren angeregt mit einem Paar aus Italien, das genau wie wir zum ersten Mal hier in der Region ist. Das Château stellt die Weine zur Verfügung und wir probieren nacheinander die Kreationen jedes einzelnen. „Das Rezept ist dir besser gelungen als mir‟, sagt mir Noémie mit einem leicht neidischen Unterton. „Klar ist meins besser‟, ziehe ich sie liebevoll auf, „auch wenn dieser Urlaub magisch ist, manche Dinge ändern sich eben nicht .‟ Sie leert ihr Glas und versteckt dabei ihr Lächeln, aber der Blick zum Himmel entgeht mir nicht.

 

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